Erinnerungen an die Breuberger Familienmusikwoche 2004


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Woran erkennt man einen alteingesessenen Teilnehmer der Familienmusikwoche auf Breuberg? Genau - er beherrscht die traditionelle Morgenpolonaise! Denn die Familienmusikwoche von Breuberg fand im Jahr 2004 schon zum ?-ten Mal statt und zwei Drittel der 90 Teilnehmer waren nicht zum ersten Mal auf der idyllischen Burg in Südhessen zu Gast. Auch in diesem Jahr wurden viele der alten Traditionen wieder übernommen, selbstverständlich auch die obligatorische "Morgenpolonaise". Doch nicht alles war genauso wie die vielen Jahre zuvor, konnten doch die "alten Hasen" von Breuberg so manch ein neues Gesicht unter den Teilnehmern und auch im Dozenten-Team entdecken. Im Rahmen meines "Freiwilligen Sozialen Jahres in der Kultur" beim iam durfte ich die Familienmusikwoche auf Breuberg mit vorbereiten und schließlich "live" miterleben. Obwohl ich viel erzählt bekommen hatte, und über viele der "heiligen" Traditionen im Vorfeld aufgeklärt worden war, hatte mich eine Sache besonders neugierig gemacht: Was um Himmels Willen hat es mit dieser "Morgenpolonaise" auf sich? Schon bald sollte das Geheimnis gelüftet werden...

Die erlebnisreiche Woche begann damit, dass wir Teamer uns in der ersten gemeinsamen Abendrunde am Samstag mit einem selbst gedichteten Lied gegenseitig vorstellten. Schnell eroberten wir die Herzen der Teilnehmer, selbst die Nicht-Anwesenden wurden mit eingeschlossen: Schon bald wusste nämlich jeder: "Der Melf, der kommt erst morgen früh um elf." Nachdem die Kids ins Bett geschickt worden waren und wir die offizielle Info-Runde für alle Eltern hinter uns gebracht hatten, konnte das erste gemütliche Beisammensitzen mit Bier oder Wein - von echten Breubergern auch "Weibieru" genannt - eröffnet werden. Schnell begriff ich, dass auch diese Tradition mindestens genauso obligatorisch für die Familienmusikwoche ist wie die allseits bekannte Morgenpolonaise.

Wer morgens nicht sowieso schon voll Vorfreude auf den Tag aus den Federn sprang, wurde spätestens um viertel nach sieben durch lautes Getose aus dem Bett gerüttelt. Denn auch das basierte auf jahrelanger Tradition, dass es jeden Morgen die Aufgabe einer der vier Kreativgruppen war, die anderen Breuberger zu wecken - sei es mit einem selbst komponierten Musikstück oder aber mit einem Arrangement eines bekannten Liedes. Ich jedenfalls war jeden Morgen gespannt darauf, welche Melodie mich heute aus meinem süßen Schlummer holte und mich selbst noch beim Frühstück als kleiner Ohrwurm begleiten würde. Die erste Morgenrunde wurde eröffnet, indem irgendjemand den CD-Player anstellte. Endlich, so dachte ich, wird das Geheimnis um diese Polonaise gelüftet! Aber schon bald erkannte ich, dass dies eine gewöhnungsbedürftige "Tradition" ist, die für Breuberg-Neulinge wie mich anfangs eine gewisse Orientierungslosigkeit hervorrufen kann: Plötzlich sprangen nämlich ca. zwei Drittel der Teilnehmer und Dozenten auf und begannen sich in undurchschaubarer Weise zu formieren. "Einfach mitmachen!", rief mir eine Teilnehmerin zu, und ich schnappte mir eine freie Hand. Das Chaos nahm seinen Lauf! Aber irgendwann hatte selbst ich ein Erfolgserlebnis, als ich nämlich meinen 4-jährigen "Polonaise-Partner" im Gewühl endlich wieder fand. Schon nach wenigen Tagen hatten selbst "die Neuen" den Ablauf und den Sinn dieser "Morgen-Polonaise" erkannt. Und das Ganze wurde plötzlich zu einer logischen Abfolge von Figuren, bei der man die Möglichkeit hatte, wirklich jedem Breuberger ein freundliches "Guten Morgen-Lächeln" entgegen zu strahlen. Wer bei der Morgenpolonaise mitgemacht hatte, war spätestens jetzt richtig wach. Zeit, den CD-Player auszuschalten und die eigene Stimme zu ölen: Denn nun war es Zeit, den "Weck-Ohrwurm" mit den vielen schönen Melodien der Morgen-Lieder abzulösen. Ein Lied aber wurde zum Breuberg ´04-Markenzeichen, ja zum diesjährigen Kult-Hit: Am Dienstag brachte Wolfgang uns nämlich bei, wie man erfolgreich den Kampf gegen ein Krokodil aufnehmen kann: "Was schwimmt denn da? Was schwimmt denn da? Ein Krokodil aus Afrika..." Man sperrt es nämlich ganz einfach in eine Kiste ein, wenn es uns auffressen will... Doch nicht nur wegen diesem, von nun an mehr als beliebtem Kinderlied wurde die Morgenrunde am Dienstag zu einer ganz besonderen: Eine Teilnehmerin hatte Geburtstag, und die "Charlys" überreichten ihr einen selbstgebackenen Geburtstagskuchen, während ein feierliches Ständchen dargeboten wurde. Zum Leid v.a. der jüngeren Generationen musste man bei den Morgenrunden aber nicht nur singen, sondern sich manchmal auch körperlich betätigen. Z.B. gönnte uns Dorothee keine Verschnaufpause, als sie uns den "Sutaki", den berühmten griechischen Tanz, beibrachte.

Schnell wurde mir klar, warum wirklich die gesamte Burg für den iam reserviert worden war: Nach der Morgenrunde entschwand nämlich jeder in sein Ensemble. Bei dem Angebot blieb wirklich kein Raum in der Burg leer und kein Instrument in der Ecke stehen. Es war für jeden etwas dabei: Da wäre z.B. das Bläser-Ensemble, das am ersten Tag, dem Sonntag, unter der Leitung von unserem Praktikanten Johannes stand - denn der Melf, der kam ja erst um...na was wohl? Melf und Johannes ließen auch in den kommenden Tagen mit ihren Bläsern die Wände wackeln und die ganze Burg mit swingenden Melodien erklingen, so dass andere Ensembles auch gerne mal ein Päuschen einlegten, um insgeheim "mitzuswingen". Dann wären da die "Flockblöten", wie sie liebevoll von Tatjana genannt wurden. Sie hatten zwar anfangs Schwierigkeiten, sich auf einen "gemeinsamen Nenner" zu bringen, dafür probten sie aber in einem der schönsten Räume überhaupt: Einem sonnendurchfluteten Herrenzimmer der Burg. Eine traumhafte Atmosphäre also für die ca. elf Flötisten und Flötistinnen. Ganz oben im Turm, das Zimmer mit dem schönsten Ausblick, gehörte vormittags den Mitgliedern des Kinderorchesters. Unter Xandras Leitung wurden bekannte Lieder und kleine Stücke einstudiert. Besonders stolz konnten die jungen Musiker aber darauf sein, ein Divertimento von Mozart in ihrem Repertoire gehabt zu haben. Unermüdlich übten sie alle ihren Part, z.B. in Stimmproben oder sogar in einer der wenigen freien Minuten auf ihren Zimmern. Für die 7-12-Jährigen, die kein eigenes Instrument mitgebracht hatten, bot Doro eine Orff-Gruppe an. Mit rhythmischen Spielen wurde ihnen ein Gefühl für den Umgang mit Schlaginstrumenten und das Einhalten bestimmter Takte vermittelt. Das Orchester für die "großen Kinder" von 14-57 widmete sich u.a. Werken von Respighi und Ravel. Wolfgang und Dorothee setzten sich dabei voller Engagement für konzentrierte Proben ein, so dass sich am Ende das Ergebnis auch sehen (und v.a. hören) ließ. Und nicht zuletzt sind die "Charlys" zu erwähnen. Die 4-6-Jährigen wurden von Matthias und nachmittags auch von Doro betreut. Gemeinsam sangen sie Lieder, malten, backten Kuchen oder gingen in den Burggraben, um sich richtig auszutoben. Matthias war mit seiner Gitarre dabei der Star bei den Knirpsen, und wenn sie abends nicht zu ihren Eltern zurück wollten, klammerten die "Charlys" sich einfach an sein Bein und ließen, wenn überhaupt, erst Minuten später wieder los.

                Komischerweise konnte man die Charlys auch abends noch quietschfidel durch die Burg rennen sehen, während Matthias und Doro meistens geschafft und ausgepowert beim Abendessen saßen. Und auch wir, die anderen Teamer, waren meistens ziemlich kaputt vom Tag: Denn wir hatten nach dem voll gepackten Vormittag nachmittags auch noch zwei Stunden Kinderchor bzw. Erwachsenenchor und Bigband-Proben hinter uns. Ein "Grusical" mit ca. 30 Kindern einzustudieren ist aber nicht nur anstrengend, sondern kann auch sehr amüsierend sein: Z.B. wenn der kleine betrunkene Graf Dracula sich wieder mal mächtig in Szene setzte...*hicks* Entspannung gab es für uns Teamer dann aber immer in den Oscar-verdächtigen Abendrunden. Hier waren nämlich die Teilnehmer mit ihrer "Kreativgruppe" gefragt. Sie präsentierten ihre Aufgaben, die sie in der Morgenrunde von uns erhalten hatten, und dafür war wirklich eine Menge an Kreativität und an Mut zum Verrücktsein gefragt. Die Programmpunkte am Abend waren für mich immer der Höhepunkt des Tages, denn die Beiträge waren wirklich einfallsreich. Schnell wurde klar: Die Breuberger sind Allround-Talente! Mir wird es allerdings immer ein Rätsel bleiben, wie man an so voll gepackten Tagen, wie es sie auf Breuberg nun einmal gibt, noch Zeit und Lust findet, ein Theaterstück einzustudieren oder gar ein weiteres Musikstück zu proben...wirklich bemerkenswert! Doch wer meint, dass die Tage schon genug mit Musik voll gepackt waren, der irrt! Denn nach den Abendrunden, wurden für die "Erwachsenen" weitere Workshops angeboten: Von Improvisation mit Melf, über Klezmer mit Dorothee, das Afrikanische Trommeln mit Doro und Tanzen mit Tatjana war wieder für jeden Geschmack etwas dabei, und die Burg erklang auch noch nach 20:30 Uhr mit heißen Rhythmen, jazzigen Swings und schönen Liedern.

Da das tagelange Proben und der ständige Lärmpegel doch sehr anstrengend waren, stand am Mittwoch ein freier Nachmittag auf dem Programm. Diejenigen, die von der Burg nicht genug bekommen konnten, schlossen sich einer interessanten Burgführung an, andere nutzten die vielen freien Räumlichkeiten, um zu üben. Wieder andere wagten sich nach vier Tagen Abgeschottetsein von der Außenwelt in die nah gelegenen Dörfer. Wolfgang, Dorothee und ich aber hatten die geheime Mission, die letzten Besorgungen für das "Gruselkabinett" zu machen, das am Donnerstagabend als Überraschung für die Jugendlichen im Keller der Burg geplant war. Wer es schließlich nicht selbst miterlebt hatte, musste sich am nächsten Morgen die grausamsten Grusel-Geschichten anhören: Von Werwölfen (das war ich, frierend unter einem wackeligen Tisch), abgebissenen Fingern ("Aua, nicht auf meinen Finger beißen!"), dem geheimen Schwur ("Schweig! Oder dir wird die Zunge abfaulen!") und Johannes’ Spezial-Erfindung, dem "Schleim der Jahrtausende". Für Johannes, Matthias, Doro, Tatjana, Melf, Dorothee und mich, den Breuberg-Gruselgeistern, war es ein Heidenspaß und die Jugendlichen werden diesen Abend im dunklen kalten Keller wohl auch so schnell nicht vergessen...

Der Karfreitag sollte der große Präsentationstag werden. Auf dem Programm standen das Kinder-Grusical und anschließend das "große Tutti". Am Vormittag ging es aber zunächst in Fahrgemeinschaften zum Gottesdienst nach Sandbach, den nach jahrelanger Tradition und zur Freude der örtlichen Gemeinde die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Familienmusikwoche gestalteten. Nicht nur die Blockflöten erklungen von der Empore herab, auch der Chor gab sein Bestes, und das Kantatenorchester machte den Gottesdienst schließlich perfekt. Nachdem alle Teilnehmer an diesem sonnigen Tag die Burg wieder erreicht hatten, konnte es losgehen mit den letzten Vorbereitungen für die Grusical- Aufführung. Schließlich sollte nach dem tagelangen Auswendig-Lernen und dem vielen Proben wirklich alles perfekt sein. Und das war es schließlich auch: Der Geisterchor und die Solisten positionierten sich geschminkt und kostümiert vor der selbst gemalten Kulisse, und alle nahmen ihren ganzen Mut zusammen, um vor versammeltem Publikum die Geschichte von der "Geisterstunde auf Schloss Eulenstein" zu erzählen. Ein Teil der Bigband unter Melfs Leitung zauberte die passenden Geräusche, und so wurde man schnell in die Welt von "Karl von Radau", "Fritz Rabatz von Ach und Krach", der kleinen Hexe, dem Flaschengeist, Graf Dracula und Co. entführt. Das Breuberger Publikum belohnte die tolle Aufführung schließlich mit tosendem Beifall! Nach einer kurzen Abschmink- und Umbau-Pause ging es dann mit dem großem "Tutti" weiter, wo alle Vormittag-Ensembles ihre Ergebnisse der Woche präsentieren sollten. So unterschiedlich die Ensembles und ihr Repertoire auch war, ein Stück hatten sie gemeinsam: "Mackie Messer" aus Weills Dreigroschenoper war dieses Jahr das "Tutti-Stück", das alle 90 Teilnehmer ganz am Ende gemeinsam musizieren sollten. Auch wenn der Anblick von fünf umherfuchtelnden Dirigenten inmitten einer Instrumenten- und Menschenmasse den Anschein brachte, dass dies schier unmöglich sei, funktionierte es erstaunlicherweise! In der letzten Abendrunde durften die kleinen und großen Kinder noch einmal lauschen, wie Doro (mit inzwischen heiserer Stimme) die "kleine Hexe" von Otfried Preußler vorlas. Dieses Buch begleitete uns nämlich die ganze Woche über. In jeder Abendrunde wurden ein paar Kapitel vorgelesen, und alle waren traurig, dass mit dem fertig gelesenen Buch auch die letzte Abendrunde vorüberging. So neigte sich eine lebendige und musikalische Woche dem Ende zu. Am Samstagmorgen wurden in der allerletzten Morgenrunde noch einmal alle Lieblingslieder und natürlich der Kult-Hit ("Was schwimmt denn da...?") gesungen, und natürlich wurde noch ein letztes Mal die Morgenpolonaise zelebriert. Schließlich fielen sich alle um den Hals und versprachen sich das Wiedersehen im nächsten Jahr.

Und woran erkannte man nach dieser Woche die "echten" Breuberger? Nicht nur daran, dass sie alle die Morgenpolonaise beherrschten, sondern auch daran, dass sie zwar etwas übernächtigt und erschöpft, aber doch mit der Welt zufrieden waren! Das einzige, was so manch einen von ihnen gestört hatte, war, dass die Salatblätter offensichtlich zu groß gewesen waren...Aber das ist eine andere Geschichte!

Julia Wurzel, April 2004

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